Eine kleine Geschichte der Kausalität

Am Morgen des 3. Juni starb Paul Wehrmann.
Auf dem Weg zur Arbeit wurde er von einem Blumentopf erschlagen, den die Witwe Karla von Griesenstein beim Blumengiessen von der Fensterbank gestossen hatte. Die gewaltige Geranie zertrümmerte seinen Schädel mitsamt des Gehirnes, so dass der eilig herbeigerufene Notarzt nur noch den Tod feststellen konnte.
Wäre da nicht dieser Penner gewesen, der dem alten Wehrmann 'Ey Alder, haste ma ne Maak?' hinterhergerufen hat, dann wäre Wehrmann zu dieser Zeit ungefähr einen Meter weiter auf seinem Weg gewesen, der Kübel hätte hinter ihm das Pflaster zertrümmert, er hätte sich mächtig erschrocken und später im Büro endlich mal was zu erzählen gehabt. Hätte Wehrmann als aufrechter Bürger nicht auf seinem Weg innegehalten und sich  umgedreht, um dem Penner zuzurufen: 'Geh doch arbeiten, du Schmarotzer!', dann wäre er auch noch am Leben.
Er wäre allerdings auch noch am Leben, wenn er nicht eine Bahn später als sonst gefahren wäre, weil dann weder der Penner noch Frau v.Griesensteins Geranie seinen Weg gekreuzt hätten, von Todesursachen anderer Art mal ganz zu schweigen.
Es war sein Frühstückstoast, das ihn das Leben kostete, denn weil dieses dorige Ding nicht braun werden wollte, kam er genau an diesem Tag zu spät zum Bahnhof und sah nur noch die Rücklichter von 'seinem Zug'(*).
Später im Himmel, Herr Wehrmann war Christ, wird er sich wohl noch oft fragen: War es nun so klug, auf dieses Toastbrot zu warten, nein, förmlich drauf zu bestehen? Hat sich der jahrelange Kampf gelohnt, in dem ich es durchgesetzt habe, morgens Toastbrot anstatt Vollwertsemmeln zu essen? Hatte nicht mein gutes, altes Weib doch recht, als sie davon sprach, wie ungesund Toastbrot sei?
Was Karl Wehrmann nicht weiss, ist dieses: Sein Toast sprang heute nicht deswegen verspätet aus dem Toaster, weil es grundweg schlecht ist. Vielmehr hatte sich im Toaster eine Schneidklemmverbindung gelöst und erzeugte einen Übergangswiderstand, weswegen die Heinzwendeln nicht ausreichend durchströmt wurden und so das Toast nicht toasten konnten. Das war aber auch nicht ihre Schuld, sondern der Montagearbeiter bei Rowenta am Band hatte die Schneidklemmen nicht richtig angebracht, weil er an diesem Tag sehr schlechte Laune hatte. Hätte seine Alte da auf dem Betriebsfest gestern nicht so mit dem Produktionsbandführer, was sein Scheff ist, rumgemacht, und wären die Zukunftsaussichten nicht so düster, wäre da nicht dieser drohende Stellenabbau und die Angst um den Arbeitsplatz, wenn man morgens um halb zehn strunztrunken zur Arbeit erscheint, dann wäre er mit seinen Gedanken voll bei der Arbeit gewesen und hätte geschneidklemmt wie ein junger Gott!

Das war am Morgen dieses 3.Juni immerhin schon an die fünfzehn Jahre her, doch jetzt sollte sich das alles  rächen, genau wie Pauls Weigerung, einen neuen Toaster zu kaufen, der alte war doch noch gut!

Aber auch die greise Griesenstein hätte den Tod von Paul Wehrmann verhindern können. Normalerweise giesst sie ihre Blumen ja schon eine Viertelstunde eher, und schubst sie auch nicht auf die Strasse. Aber heute war sie so aufgeregt, und ohnehin zu spät. Ihre alte Freundin Gerlinde Gräfin von Gösselsheim hatte sie angerufen! Ihre Tochter hat ein Kind bekommen! Und obwohl dieses Kind rein äusserlich ohne Fehl und Tadel
(**), sollte es einen schändlichen Namen bekommen, und da müsste man dann doch gleich... so gingen dann die Minuten dahin und die alte Gräfin erzählte gar schändliche Dinge... So schändliche, dass der von Griesenstein noch später die grauen Greisenklauen zitterten und sie bei dem kläglichen Versuch, ihr geregeltes Leben mit zitternden Händen wieder aufzunehmen, gleich Herrn Wehrmann tötete.
Es hätte ja auch alles geklappt, wenn dieser grosse schwarze Vogel sie nicht erschreckt hätte und sie die schwere Giesskanne, die sie heute besonders voll gefüllt hatte, weil gestern das Wasser abgestellt war und die Blumen nicht gegossen werden konnten, nicht in die Geranien hätte fallen lassen. Da hätte so ein grausiger und  zudem sinnloser Unfall überhaupt garnicht erst passieren können!
Da wäre diese grosse Krähe nämlich nicht von Nachbars Katze aufgescheucht worden, die just an diesem Morgen ihren Jagdinstinkt entdeckt hatte, nachdem ihr nach zwölf Jahren des Stubenkatzendaseins das erste mal die Flucht auf den Balkon geglückt war. Hinterher war sie auch nie wieder auf dem Balkon, weil da immer so ein Fallen und Sterben und Lärmen auf der Strasse ist. 

(Das Schicksal raunt aus dem Hintergrund:) Deswegen ist er ja gestern auch nicht passiert! 

Da irrt das Schicksal aber. 



(*)Das ist der Dopplereffekt: Eisenbahnen fahren so schnell, dass das Licht von vorne weiss und von hinten rot aussieht!
Und darum ist die Weisswurst auch viel schneller als die Rotwurst!

(**) Dieser Satz mit Absicht kein Verb.

 

"Gott würfelt nicht!" soll der gemeinhin überschätzte Alfred E. einmal gesagt haben, heuer (2005) hört man es wieder aus jeder Ecke raunen, weil gerade Einsteinjahr ist. Kein Schwein, geschweige denn ein Journalist, versteht den ganzen Quantenquargel, aber er ist in aller Munde. Muss ja auch, wenn Einsteinjahr ist. Und wenn der ganze Kram eh in der Luft lag, der Nobelpreis auch für den Photoeffekt erteilt wurde und nicht für die Relativitätstheorie, von der wiederum nur die wenigsten wissen, dass es derer zweie, nämlich die allgemeine und die spezielle gibt, dann ist gut genial sein.

Und am Schluss noch eine kleine Suada gegen die Dummheit:
Einstein hatte Recht, nur er hat es nicht begriffen.
Gott würfelt nicht!
Stimmt.
Wie soll einer würfeln, wenn es ihn nicht gibt?
Gott würfelt nicht, und Paul Wehrmann ist tot.

Philosophisches Fazit:

Wenn es ein Schicksal, einen vorbestimmten Weg gibt, dann müsste der schon sehr ausgeklügelt sein, damit das alles so genau hinkommt. Da würde mein kleines Wesen überhaupt nichts ausmachen. Dann wäre es völlig egal, was ich täte, weil das alles dann ja bereits vorausbestimmt wäre. Wenn ich jetzt furzen würde, und damit die entscheidende Menge Methan, die das Klima zum umkippen bringt, absondern würde, dann wäre das zwar ziemlich tragisch für einen Grossteil der Menschheit und für mich viel mehr, aber ich könnte nichts daran ändern, weil es mir vorherbestimmt war, der Vernichter der Welt zu sein.

Wenn es einen allmächtigen Gott gäbe, dann würde der schon wissen, was er tut. ER würde wissen, warum ich so bin, wie ich bin und warum Paul Wehrmann sterben musste. ER hätte mich erschaffen, wäre mein Vater und Erzeuger! Wie der Vater, so der Sohn, ach du Scheisse! Er hat mich nach seinem Bilde geschaffen. Wie sollte ich vor so einem Dummkopf jemals Respekt haben? 
Jaja, ich weiss, da war diese Geschichte mit der Hölle: Wenn du mir nicht gehorchst, dann wirst du in der Hölle schmoren! Im ewigen Musikantenstadel auf der Eigenheimveranda mit einem fetten Weib Fortpflanzungsrituale betreiben oder schlimmeres!
Da waren die Deppen alle ganz brav, weil sie nicht ahnten, dass das alles auch passieren würde, wenn sie die Schuhe ihres Priesters küssten.

Mir hat ein gläubiger Mensch neulich mal allen  Ernstes erzählt:
Wenn es Gott nicht gäbe, dann könnte er doch ruhig  alle anderen Menschen totschlagen und berauben!
Zum Glück für uns alle glaubt der an Gott!

Kann der allmächtige Schöpfergott einen Stein erschaffen, der so schwer ist, dass er ihn selber nicht mehr heben kann?

Weitere Suaden gegen Muselmanen, Buddhisten, Agnostiker, Demokraten, Deutsche (unter besonderere Beachtung der Rheinländer), Antifaschisten, Grüne, Nazis, Sozis, Banken und deren Lakaien, Kroppzeugs aller Art eben, sollen an dieser Stelle folgen.

 Und hier sollten die Katholische Kirche und der deutsche Volksgeist doch endlich wieder in einem Boot sitzen: Wir sind Papst!
Zum Schluss noch eine Geschichte über Deutsche:
Ich war einmal an einem einsamen osttürkischen Badestrand mit zwei Kollegen, wo wir uns am schlechten Fisch eine üble Darminfektion zuzogen, von der jetzt garnicht sie Rede sein soll. Vielmehr nächtigten wir in einem kleinen Hotel, das um diese Jahreszeit in dieser Lage nur von sehr wenigen Deutschen besucht wurde. Von Türken auch nicht. Als wir zum Frühstück mit Strandblick kamen, sahen wir 2 Liegen mit Handtüchern darauf in der Ferne am weiten, einsamen Strand stehen. Ein Urlauberdenkmal. Beim Frühstück schlugen sich ausser uns noch einige Türken und ein sonnengebräuntes deutsches Ehepaar in den älteren Jahren herum.
Ja.
 Die waren das dann auch.
Wir holten uns später auch jeder eine Liege vom riesigen Liegenstapel. 
Wenn Gott diese beiden nach seinem Bilde geformt hat, dann ist er selber Schuld daran, dass ich keine gute Meinung von ihm habe.


andere Nichtganzgedichte