Für Maria da Gloria

EIN FREMDER IN CACELA


Ende April, wenige Tage nach seinem achtzehnten Geburtstag schmiss Peter Langbein die Schule, packte seinen Rucksack und verliess sein Elternhaus ohne ein Wort des Anschieds.

Über die Niederlande trampte er nach Südfrankreich, wo er einen herrlichen Sommer verlebte. Als im Oktober die ersten Nächte empfindlich kalt wurden, zog er weiter nach Andalusien. Dort konnte er einige Wochen in der Landwirtschaft arbeiten und plante jetzt, sich  - Hand gegen Koje - von Lagos nach Funchal einzuschiffen, von wo aus er dann den Rest der Welt zu bereisen gedachte.

 Am Donnerstag den 30. November stellte er sich in Lepe an die Autobahn und konnte bald einen Lift nach Portugal ergattern. Gegen Mittag setzte ihn ein freundlicher Handwerker in Vila Nova de Cacela ab, einem geschäftigen Mittelpunktdorf des Sotavento. Gleich neben der Grundschule gibt es dort eine von Orangenbäumen eingefasste Plaza mit einem Musikpavillon in der Mitte, an deren Stirnseite sich neben der Gemeindeverwaltung das Banho Municipal befindet, in dem jedermann gegen ein geringes Entgelt duschen kann.

Nachdem er geduscht hatte setzte sich Peter neben der Junta de Freguesia auf eine Bank. Bald kam er dort mit einem Portugiesen mittleren Alters, der sich aus der Gemeindeverwaltung kommend neben ihn gesetzt hatte, ins Gespräch. Dieser fragte Peter in leidlichem Deutsch nach dem Woher und Wohin und als Peter ihm von seinen Plänen erzählt hatte, meinte er vielleicht helfen zu können.

Er führte ein kurzes Gespräch auf seinem Handy und kurz danach kam in einer S-Klasse ein weiterer Portugiese hinzu. Der Erste stellte diesen Peter als Senhor Engenheiro, einen örtlichen Bauunternehmer, vor. Dieser sagte Peter auf Englisch, dass er ebenfalls Pedro hiesse, dass sein Primo, der eine vierzehn-Meter-Yacht in Tavira liegen habe zu Weihnachten einen Törn nach Madeira plane und dass er Peter gern bis dahin auf seiner Baustelle des Mercado Municipal beschäftigen würde, da er hier mit den Arbeiten sehr in Verzug sei; es wäre so schwierig zuverlässige Arbeitsleute zu finden und so weiter und so fort. Auch für eine Unterkunft könne er sorgen und im übrigen sei er dem Senhor Advogado - Peters erstem Kontakt - ja so dankbar, dass dieser ihn angerufen habe.

Nach kurzem Nachdenken willigte Peter in das freundliche Angebot ein und zu dritt fuhren sie im Mercedes eine kurze Strecke ortsauswärts in Richtung Campo zu einem winzig kleinen Haus. Dort verabschiedeten sich Pedro und der Advogado von Peter, nachdem man sich für den nächsten Morgen in der Frühe verabredet hatte.

Pünktlich um halb acht an nächsten Morgen fuhr Pedro in seinem Mercedes vor Peters Bleibe vor und gemeinsam begaben sie sich zurück nach Cacela zur Baustelle des neuen Mercado Municipal. Dort wartete auch schon der Advogado. Sie betraten zusammen die Baustelle und begaben sich in die Tiefgarage des neuen Gebäudes. Peter wunderte sich, dass die Baustelle noch nicht in Betrieb war, er wusste allerdings auch nicht, dass dieser Tag (1. Dezember - 1640 Befreiung Portugals von der spanischen Herrschaft) gesetzlicher Feiertag in Portugal war. Im hintersten Winkel der Tiefgarage befand sich ein kleines, halbfertig gemauertes Gelass, von dem Peter nicht im mindesten ahnte, welchem Zweck es dienen könnte und er verstand auch den Engenheiro nicht, als dieser sagte: „Muito bem, tem que se acrescentar qualquer coisa viva a este edificio ... *)”  Als ihm dann der Advogado eine mit Sand gefüllte Socke über
den Kopf schlug schwanden ihm die Sinne.

 Als er wieder zu sich kam fand er sich unbekleidet in völliger Dunkelheit, in einer kleinen Kammer, die, wie er bald feststellte, weder Türen noch Fenster hatte, fest eingemauert. Niemand hörte sein Toben und die Schreie seiner Verzweifelung, denn die Baustelle war auch am folgenden Sonnabend nicht in Betrieb.

Am Montagmorgen hörte er schon noch, dass die Arbeiten wieder aufgenommen wurden, allerdings brachte er nach drei Tagen ohne Wasser nur ein Krächzen hervor und war viel zu schwach um sich bemerkbar zu machen.

Bis zum Nachmittag war er verstorben.

 Alles, was von ihn blieb waren ein Datensatz  in der Vermisstendatei des Fahndungscomputers der deutschen Polizei und sein Leichnam hinter einer seltsam unmotiviert winkligen Wand in der Tiefgarage des neuen Mercado Municipal von Vila Nova de Cacela.

 

 

 

 

 

 

  Ó 2006 Kalmring sein Enkel

 *) Schön,schön. Man muss etwas Lebendiges zu diesem Bauwerk hinzufuegen....


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