Der Eimer

Am Strand liegt allerlei Zeugs in einer perfekten Ordnung und zwar so, wie es vom Wasser da abgelegt wurde.
Ziemlich weit unten, nah am Wasser liegen die Steine, weiter oben liegen die Muschelschalen und dannach kommt ein Streifen mit Seetang.
Es folgt ein Streifen mit allerlei Muell, den das Meer ausgespuckt hat; waehrend man hier in frueheren Zeiten meist Treibholz fand ist heute hier neben schrottigen Paletten der Anteil des schwimmfaehigen Plastikmuells aus aller Herren seefahrenden Nationen besonders hoch.
Ganz oben aber liegen die interessantesten Teile, die das Meer in wildem Tosen oder waehrend der Springflut ausgespuckt hat. Da liegt schon mal ein ganzes Boot, ein Mast, ein Oelfass oder ein grosser Eimer, so wie man ihn aus Grosskuechen kennt um die Essensreste darin zu sammeln.
Besagter Eimer muss schon vor langer Zeit ueber Bord, vielleicht eines Kreuzfahrtschiffes, vielleicht eines Seelenverkaeufers gegangen sein, vielleicht voller Abscheu ueber Bord geworfen, vielleicht im Sturm mitsamt des chinesischen Smutje von Deck gespuelt, und waehrend man den Smutje hoffentlich wieder aufgefischt hat, ist der Eimer von den Wellen hier auf den Strand geworfen worden, ganz nach oben, und im Lauf der Zeit hat der Wind ihn dann zu etwa einem Drittel mit trockenem Sand gefuellt.

Eines schoenen Tages kommt ein Mann, faellt vor dem Eimer auf die Knie, faltet die Haende und beginnt den Eimer anzubeten:
"O grosser Eimer, O grosser Eimer,
erbarme Dich meiner und sag mir wie ich leben soll"
Und wie er keine Antwort erhaelt, beginnt er von vorn:
"O grosser Eimer, O grosser Eimer,
erbarme Dich meiner und sag mir wie ich leben soll"
Und da er wieder keine Antwort erhaelt, beugt er den Kopf bis auf den Boden und hebt von neuen an:
"O grosser Eimer, O grosser Eimer,
erbarme Dich meiner und sag mir wie ich leben soll"
Und das geht noch eine ganze Weile so weiter, aber um es kurz zu machen, in dem Eimer befanden sich mehrere Kilo trockener Sand und da sagt ein Kilo trockener Sand zu einem zweiten Kilo trockenem Sand: "Komm, lass uns einen kleinen Spass haben" - "Au ja, fein" Worauf das erste Kilo trockener Sand anfing laut zu rufen 
"Hol Wasser, hol Wasser" und die anderen Kilo trockener Sand einfielen 
"Hol Wasser" - "Hol Wasser, hol Wasser" - "Hol Was...".

Wie der Mann das hoert, zieht er seine Hose aus, verknotet die Hosenbeine und geht dann damit zur Brandungslinie um Wasser zu schoepfen, welches er zum Eimer traegt und hineinfuellt, denn noch immer rufen alle Kilo trockener Sand "Hol Wasser, hol Wasser"; schon geht er ein zweites Mal und ein drittes Mal und dann ist nichts mehr zu hoeren, denn nasser Sand kann bekanntlich nicht sprechen. Dennoch geht der Mann noch bald weitere zwanzigmal, bis sich im Eimer am Ende mehr Wasser als Sand befindet und dann beginnt er von vorn, faltet die Haende und faellt auf die Knie:
"O grosser Eimer, O grosser Eimer, 
erbarme Dich meiner und sag mir wie ich leben soll"
und wieder und wieder:
"O grosser Eimer, O grosser Eimer, 
erbarme Dich meiner und sag mir wie ich leben soll"

Natuerlich erhaelt er keine Antwort und obwohl er noch eine ganze Weile so weiter macht hat er, als er am Ende abhaut, nichts weiter als eine nasse Hose. Am naechsten Tag kommt er wieder und beginnt von vorn:
"O grosser Eimer, O grosser Eimer, 
erbarme Dich meiner und sag mir wie ich leben soll"
Diesmal hat er sich eine Plastiktuete mitgebracht, damit er seine Hose beim Wasserholen nicht nass macht und er zeigt Ausdauer, denn am naechten Tag kommt er wieder und am uebernaechsten und an den folgenden, aber irgendwann ist er dann doch fuer immer weggeblieben.
 
Andere, die offensichtlich besser gewusst haben, wie sie leben sollen, kamen zu mehreren gegen Abend. Sie hatten einen Kasten Bier und eine Plastiktuete mit ein paar Flaschen Wein, was zu Essen und ein paar Musikinstrumente dabei, sammelten Treibholz fuer ein Lagerfeuer und feierten eine lustige Party bis zum fruehen morgen.
Ihren Muell aber liessen sie in dem Eimer zurueck. Und ebenso steht er da heute noch:
Ein grosser Eimer, zu etwa einem Drittel gefuellt mit trockenem Sand und bis obenhin voller Muell.
Kalmring sein Enkel, 
(Im Exil 2002/2003)

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